75 Jahre Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen Kreisverband Wiesbaden

Jubiläumsfeier zum 75-jähriges Bestehen der Landsmannschaft - Erinnerungsarbeit fortsetzen und Brückenbauer sein

Eigentlich sollte das 75-jährige Bestehen der Landsmannschaft bereits in 2021 gefeiert werden. Doch wegen der Corona-Situation konnte der Vorstand erst ein Jahr später zu einer Feierstunde am 15. Oktober 2022 ins Wiesbadener „Haus der Heimat“ einladen. Dort begrüßte der Vorsitzende Dieter Schetat die Mitwirkenden und Gäste, namentlich den stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes der Ost-und Westpreußen in Hessen, Gerhard Schröder, der die Landsmannschaft mit ermunternden Worten beglückwünschte und ein Grußwort des Landesvorsitzenden Ulrich Bonk mitgebracht hatte. Für die Pommersche Landsmannschaft gratulierte die Landesvorsitzende Gabriela Zessin. Schriftliche Grußworte hatten geschickt: die Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Nieder- und Oberschlesien Anneliese Abu El-Ez und die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf.

Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der Ost- und Westpreußen in Hessen, Gerhard Schröder, beglückwünschte die Landsmannschaft und hatte ein Grußwort des Landesvorsitzenden Ulrich Bonk mitgebracht.
Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der Ost- und Westpreußen in Hessen, Gerhard Schröder, beglückwünschte die Landsmannschaft und hatte ein Grußwort des Landesvorsitzenden Ulrich Bonk mitgebracht.

Dieter Schetat freute sich auch über eine E-Mail von Reisebetreuerin Galina Pustovaya, die er am Morgen aus Kaliningrad, dem früheren Königsberg, erhalten hatte. Sie führte oftmals die Reisegruppen aus Wiesbaden durch ihre Stadt und den heute russischen Teil des einstigen Ostpreußens. Mit herzlichen Worten gratulierte Galina zur Jubiläumsfeier und schrieb: „Wir haben gemeinsam gelacht und gemeinsam geweint. Wir haben Hunderte Freundschaften geschlossen. Und von Ihnen haben wir gelernt, unsere Heimat zu lieben.“ Damals führten mehrere Reisen der Landsmannschaft in die Heimatgebiete, um menschliche Kontakte zu pflegen und zum Erhalt des Wissens von Kulturgeschichte und Siedlungsgeschichte beizutragen.

Die Jubiläums-Festrede hielt der ehemalige Wiesbadener Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel.
Die Jubiläums-Festrede hielt der ehemalige Wiesbadener Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel.

Nach dem Gedenken der Toten blieb es dem Vorsitzenden der Landsmannschaft vorbehalten, an die Geschichte der heimatvertriebenen Ost- und Westpreußen nach dem Krieg in Wiesbaden zu erinnern. Der Geburtstag der Landsmannschaft war am 23. Mai 1946. An diesem Tag fand im Gemeindesaal der hiesigen Lutherkirche die Generalversammlung des Verbandes statt. Damals schlossen sich in Wiesbaden angekommene ostpreußische und westpreußische Landsleute zusammen, um als Schicksalsgemeinschaft die Erinnerung an die verlassene Heimat wachzuhalten.

So entstand in Wiesbaden - trotz des bestehenden Koalitionsverbots der Alliierten - eine der ersten organisierten Landsmannschaften in Deutschland. Als damals Siebenjähriger kann sich Dieter Schetat noch an die Versammlung erinnern, da er mit seiner Mutter, die zu den Gründungsmitgliedern gehörte, mit dabei war. In dieser Zeit waren 10.929 Flüchtlinge und Vertriebene in Wiesbaden aufgenommen worden, was knapp 6 Prozent der damaligen Einwohnerzahl entsprach. Er weiß auch, dass es schon vor dem Kriege seit 1915 einen „Verein heimattreuer Ost-und Westpreußen“ in Wiesbaden gegeben hat.

In seinen besinnlichen Worten zum Erntedankfest bemängelte Pfarrer Dr. Holger Saal die fehlende Dankbarkeit in weiten Kreisen unserer Gesellschaft.
In seinen besinnlichen Worten zum Erntedankfest bemängelte Pfarrer Dr. Holger Saal die fehlende Dankbarkeit in weiten Kreisen unserer Gesellschaft.

Die Landsmannschaft feierte das Jubiläum zusammen mit dem Erntedankfest und hatte dazu Pfarrer Dr. Holger Saal von der hiesigen Marktkirche eingeladen. Die Jubiläums-Festrede hielt der ehemalige Wiesbadener Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel.

Horst Wilhelm am Flügel und die Sopranistin Annette Luig umrahmten die Feierstunde musikalisch.
Horst Wilhelm am Flügel und die Sopranistin Annette Luig umrahmten die Feierstunde musikalisch.

Umrahmt wurde die Feierstunde von zahlreichen musikalischen und literarischen Beiträgen. Horst Wilhelm am Flügel und die Sopranistin Annette Luig, bekannt als Solistin des Hessischen Staatstheaters, trugen mit typischen Liedern aus der Heimat bei. So erklangen unter anderem „Ännchen von Tharau“, „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ und das masurische „Wild flutet der See“. Lyrische Gedichte und Geschichten, vorgetragen von den Mitgliedern Helga Kukwa und Christa Gintaut, erinnerten ebenfalls an Zeiten in Ost- und Westpreußen. Natürlich durften das „Westpreußenlied“ und „Land der dunklen Wälder“ nicht fehlen, jeweils am Anfang und Ende der Feier gesungen.

Wolfgang Nickel, geborener Wiesbadener, der sich der Landsmannschaft über Jahrzehnte verbunden fühlt, hat durch Diavorträge und via Fernsehen eine Ahnung bekommen „wie schön ihre Heimat war“. In seiner bewegten Festrede rief er die Bedeutung der Stuttgarter Charta von 1950 in Erinnerung, in der sich die Vertriebenen trotz aller Trauer über den Verlust ihrer Heimat verpflichteten, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und sich zu den Zielen eines vereinten Europas bekannten. Er sah Aussöhnung und Gewaltverzicht als Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und zitierte den ehemaligen Bundestagspräsidenten Schäuble, der dieses Manifest als „Zeugnis menschlicher Größe, christlicher Humanität und politischer Weitsicht“ gewürdigt hatte.

In seinen besinnlichen Worten zum Erntedankfest bemängelte Pfarrer Dr. Holger Saal die fehlende Dankbarkeit in weiten Kreisen unserer Gesellschaft. „Täusche ich mich, oder hat sich im Land die Seuche der Undankbarkeit stärker ausgebreitet?“ In einer derart kalten Gesellschaft, „in der es nur noch die anstrengende Saat und kein fröhliches Erntedankfest mehr gibt“, wolle er nicht leben. Vielmehr forderte er, das Danken wieder zu lernen.

Als Dieter Schetat vor 30 Jahren den Vorsitz des Vereins übernahm‚ hatte der gebürtige Tilsiter, wie er gestand, noch fest daran geglaubt, dass die Kinder und Enkel einmal die Arbeit fortsetzten „und unser Schicksal und unsere Erfahrungen im kollektiven Gedächtnis wachhalten würden.“ „Doch schweren Herzens müssen wir erkennen, dass die Ereignisse vor 80 Jahren die jungen Menschen nicht mehr so bewegen wie uns - und das damalige Geschehen vielleicht sogar in Vergessenheit gerät.“

Anlässlich ihres 60-jährigen Jubiläums erstellte die Landsmannschaft eine Buch-Dokumentation mit dem Titel „Den Kummer von der Seele schreiben“, in der Mitglieder ihre bewegende Geschichte und ihre Erlebnisse während der Vertreibung und Flucht aufgeschrieben haben. Ein Exemplar des Buches hat das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin erhalten mit dem Wunsch „Aufbewahren für alle Zeit.“

„Auch wenn wir zunehmend weniger werden, aber noch die Kraft haben, werden wir unsere Erinnerungsarbeit für unsere verlorene Heimat fortsetzen und uns weiter als Brückenbauer zwischen West und Ost verstehen“, versprach Schetat. Wir brauchten die Kultur des Erinnerns, auch weil sie ein Beitrag zur Aussöhnung sei und hilfreich für ein geeintes und friedliches Europa - gerade jetzt in Zeiten des schrecklichen Ukraine-Krieges.

Dieter Schetat

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